Ist die Präsenzkultur ein Relikt der alten Arbeitswelt? Ist die „Vertrauensarbeit“, die auf eine genaue Zeiterfassung verzichtet, DAS Modell für die Arbeitswelt 4.0? Auf den ersten Blick hat ein Patentrezept mehr Sex-Appeal als eine differenzierte Lösung. Doch in der realen Arbeitswelt fährt man mit Sowohl-als-auch-Modellen oft besser als mit einer Fixierung auf ein bestimmtes Modell, meint der Stuttgarter Personalexperte Michael Zondler.
Für den Ex-Telekom-Vorstand Thomas Sattelberger ist es ganz einfach. Die Normalarbeit sieht er als einschnürendes Korsett. Kreativität und Innovation bräuchten Freiräume statt Präsenzkultur und hierarchische Strukturen. In einem Aufsatz für die Wochenzeitung „Die Zeit“ plädiert der FPD-Politiker denn auch folgerichtig für eine experimentelle Führungskultur. Hierzu gehöre ein modernisiertes Arbeitszeitgesetz mit Öffnungsklauseln für digitale Arbeit – „sodass sich Arbeitszeit und Arbeitsort eigenverantwortlich festlegen oder auf Augenhöhe verhandeln lassen“. Außerdem ist Sattelberger für den Abschied von der Fünf-Tage-Woche mit Acht-Stunden-Tagen sowie die Anpassung sämtlicher Reglementierungen für Werksverträge und Zeitarbeit, „sodass innovative Freelance-Arbeit wieder möglich ist“.
In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ war allerdings jüngst unter der Überschrift „Tour durchs Valley“ zu lesen, dass im Silicon Valley gerade eine Gegenbewegung einsetze. Es gäbe eine „neue Präsenzkultur“. Die meisten Unternehmen und Entwicklungsstandorte legten wieder sehr viel Wert auf persönliche Kommunikation, eine enge Zusammenarbeit im lokalen Team vor Ort sowie den Austausch und die Vernetzung auf dem Campus. Die Unternehmen gäben sich allerdings große Mühe, „das Arbeitsumfeld reizvoll zu gestalten“.
„Büroarbeit ist nicht per se schlecht und das Home Office nicht prinzipiell gut. Hier gibt es keinen Königsweg. Wenn das Arbeitsklima schlecht, das Büro lieblos gestaltet und die Führungskultur im Unternehmen schlecht ist, kann Präsenzkultur der reine Horror sein. Andererseits kann auch ein Vertrag mit einer Vertrauensarbeitszeit seine Schattenseiten haben und zur Ausbeutung führen, wenn der Vorgesetzte dann letztlich eine permanente Erreichbarkeit voraussetzt und der Arbeitsdruck immens wird“, sagt Michael Zondler, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens CENTOMO.
Zondler zufolge gäbe es auch bei den Beschäftigten unterschiedliche Bedürfnisse. Der eine arbeitet am liebsten im Einzelbüro, der andere im Home Office oder Café. Und längst nicht alle seien Fans flexibler Arbeitsmodelle, weil sie diese mit Mehrarbeit assoziierten. Voraussetzung für das Gelingen oder auch Nebeneinander beider Modelle sei ein offener und ergebnisorientierter Führungsstil.
„Ich hatte vor kurzem ein Personalgespräch mit einer hochqualifizierten jungen Frau, die täglich rund 30 Kilometer zu ihrem Arbeitgeber nach Stuttgart fahren musste. Teilweise hat sie für einen Weg 1,5 Stunden gebraucht. Als junge Mutter war dies für sie auf Dauer nicht darstellbar. Sie hat daher bei einem renommierten Arbeitgeber gekündigt. So etwas darf eigentlich nicht passieren. Eine kluge Personalpolitik hätte dafür sorgen müssen, dass die junge Frau ihrem Unternehmen weiterhin die ‚Treue‘ halten kann. Doch mit einer starren Präsenzkultur wurde ihr dies unmöglich gemacht“, so Zondler.
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